Auf anderen Wegen

Montag, 27.07.2020 Christmas in July

Frohe Weihnachten ihr Lieben! Ja, hier wird tatsächlich Christmas in July von vielen gefeiert, weil im Dezember zwar die Feiertage sind, aber Weihnachten im Hochsommer einfach nicht viel mit Rentieren und Nordpol zu tun hat. Besonders die europäischen Familien nutzen die Zeit um Weihnachtsplätzchen zu backen und Glühwein zu trinken. Ich habe mich bisher zurück gehalten - ich backe ja eigentlich das ganze Jahr über, aber der Herrnhuter Stern, den ich zu Weihnachten bekommen hatte, hängt im Wohnzimmer und leuchtet oft den ganzen Tag, wenn das Wetter düster ist. Oft sind unsere Vorgänge zugezogen um ein bißchen mehr Isolierung zu erreichen und dann ist es tatsächlich eine richtig winterliche Stimmung. Der Winter hier fühlt sich allerdings momentan eher an wie Frühling - tagsüber haben wir oft strahlenden Sonnenschein und wenn man nicht grade im Schatten steht fühlt es sich locker an wie 20° C, nur über Nacht haben wir Temperaturen um den Gefrierpunkt. An solchen Tagen ist es im Haus oft kälter als draußen, wenn wir die Stromrechnung entlasten wollen und die elektrische Heizung ausgeschaltet lassen. Das Wochenende haben wir fast komplett im Garten und auf der Terrasse verbracht - sehr zur Freude unserer Hühner, die jeden Handschlag den wir im Garten erledigen mit Adleraugen verfolgen und mit habichtartiger Präzision jedes ahnungslose Insekt verschlingen, das unvorsichtig genug ist präsent zu sein. 

Obwohl Winter ist, blühen hier momentan unheimlich viele Bäume und Wiesenblumen. Manchmal kann ich mich an den sonnigen Tagen gar nicht satt sehen an den intensiven Farben. Im Sommer ist ja hier alles eher trocken, umso mehr explodiert die Natur momentan in grün, pink und weiß. Wir haben viel Zeit damit verbracht das vorhandene Gemüsebeet zum Hochbeet aufzustocken, es fehlen nur noch ein paar Ladungen Erde. Gestern habe ich Unmengen trockener Blätter zusammen gefegt und auf die erste Schicht Erde verteilt. Natürlich unterstützt von 3 tatkräftigen Paar Füße, die sicherlich überzeugt sind, dass Gartenarbeit nur zu ihrer Unterhaltung geschieht. Wenn ich an einer besonders guten Stelle arbeite, muss ich richtig aufpassen kein Huhn mit aufzufegen, weil Anna regelrecht unter den Rechen kriecht um die Erste an der Quelle der Superkäfer zu sein. Wenn ein Haufen Blätter zusammen gefegt ist, ist es quasi ein Wettlauf mit der Zeit, die Blätter an ihren Bestimmungsort zu bringen, da andernfalls nochmal schnell inspiziert wird, ob nicht ein Käfer übersehen wurde - und dann kann ich eigentlich wieder von vorne anfangen mit dem Rechen. Ich habe es bisher nicht übers Herz gebracht den Mädels zu gestehen, dass sie nicht wirklich eine Hilfe sind. 

Dieses Wochenende hatte ich Besuch von einer Frau in meinem Alter, die mir von meiner ehemaligen Nachbarin vermittelt wurde. Sanne kommt aus Holland, ist in meinem Alter, seit 2 Jahren in Australien und sucht nach einem Weg, hier zu bleiben. Es war richtig schön nochmal mit jemandem zu sprechen, der in einer ähnlichen Situation ist wie ich. Sie war ganz begeistert von unserem Grundstück und auch von den Mädels, die sich von ihrer besten Seite gezeigt haben - bis zu dem Zeitpunkt als wir an ihrem Auto standen und sie noch nicht eingestiegen ist, weil wir kein Ende gefunden haben. Ein offenes Auto - da vergisst man als Huhn gerne mal die Manieren. Als erstes hüpfte Bacardi in die Tür. Während ich sie raus pflückte versuchte Anna ihr Glück und nachdem Elsa es auch noch versucht hatte, ist Sanne dann endlich selbst eingestiegen und gefahren. Es war aber auch gar kein so gutes Auto - da waren weit und breit keine Krümel zu sehen!!

Die gesamte letzte Woche haben wir in einem kleinen Ort namens Casterton verbracht. Unsere super tollen Nachbarn haben nicht nur unsere Mädels versorgt, sondern auch Post für uns abgeholt und allgemein nach dem Rechten gesehen. Mit Peter und Lorraine haben wir wirklich einen einmaligen Glücksgriff getan, zumal sie mindestens ebenso verliebt in unsere Haustiere sind wie wir selber. Nach der langen Pause des woodchipping hat unsere Firma uns jedenfalls eine Unterkunft organisiert und wir haben die Produktion wieder aufgenommen. Der Rest unserer Crew teilt sich ein Haus, Troy und ich haben ein Zimmer in einem Airbnb in der gleichen Straße. Das Haus in dem wir gewohnt haben ist historisch (also was hier so historisch ist, ca 100 Jahre alt) und wurde von den Eigentümern sehr liebevoll renoviert und eingerichtet. Man hat tatsächlich ein bißchen das Gefühl in der Zeit zu reisen, wenn man dort ist und einen Wein auf den Chesterfield Sofas trinkt bevor man ins Bett geht. Zuerst war das arrangement ein bißchen gewöhnungsbedürftig, da in dem Gebäude 6 Zimmer vermietet werden und dabei in der Mitte eine Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsraum ist, den wir durchqueren müssen, um zu unserem privaten Bad zu kommen. Eine etwas merkwürdige Aufteilung. Außerdem begann unser Tag letzte Woche sehr früh und wir sind dementsprechend früh ins Bett gegangen - eine andere Crew hatte aber mit ein paar drinks im Gemeinschaftsraum mit Football eine gute Zeit und infolge der historischen hohen Decken war die Lautstärke für uns sehr unangenehm. Nach mehrmaligem bitten, die Lautstärke herunter zu fahren haben wir in der ersten Nacht nicht viel Schlaf bekommen - aber zum Glück war das nur eine Nacht. Der Besitzer des AirBnb hat uns für die folgende Woche einen privateren Bereich im hinteren Teil des Hauses versprochen. Wir sind allerdings heute morgen (wohlgemerkt hat der Wecker um 2:30 geklingelt) zu der Nachricht aufgewacht, dass der Industriehafen wegen der 2. Welle Covid-19 geschlossen ist und wir daher nicht arbeiten können. Wir werden später am Tag nach Portland zum Hauptsitz unserer Firma fahren und hoffentlich mehr Details bekommen, wie es die nächsten Wochen weiter geht. 

In Australien allgemein hatte sich die Corona- Lage inzwischen größtenteils beruhigt. Leider hat sich nachdem viele Maßnahmen gelockert wurden besonders in Melbourne ein zweiter Schub eingestellt und momentan werden meist knapp 500 Neuinfektionen pro Tag gemeldet. Wie ihr wisst wohne ich in Victoria, dem Bundesstaat von Melbourne. Melbourne ist inzwischen wieder im lockdown und es herrscht die Regel "keiner rein, keiner raus". Sämtliche Bundesstaaten haben die Grenzen zu uns dicht gemacht, man kann Victoria nur mit Ausnahmegenehmigung verlassen. Hamilton hatte bisher keine weiteren Fälle, aber in den umliegenden nächsten Städten Portland, Warnambool und Horsham häufen sich die Einzelfälle. Das ist ca 100 km Umkreis, was sich zwar weit anhört, aber hier tatsächlich nur ein Katzensprung ist. Viele Menschen pendeln täglich (wie ich ja auch, bevor wir wieder angefangen hatten zu produzieren). Es bleibt also spannend. Seit letzter Woche mussten wir auch auf der Arbeit eine Make tragen. Das Gefühl des doomsday hat sich wieder mit jedem Tag verstärkt. Leider ist es nach aktuellem Stand auch sehr unwahrscheinlich, dass internationale Reisen im regulären Maße vor Mitte nächsten Jahres wieder möglich sein werden. Australien wird seine Grenzen erst wieder öffnen, wenn sich die weltweite Lage weitestgehend beruhigt hat und eine Impfung verfügbar ist. Es ist sehr schwer, sich damit abzufinden. Der Hund meiner Eltern ist Anfang der Woche gestorben. Meinem Vater ging es nicht so gut. Meine kleine Schwester ist schwanger. All die Momente, in denen ich gerne da wäre. Meistens kann ich mich gut mit der Situation abfinden, aber die Ungewissheit, wann ich alle wieder umarmen kann ist manchmal schwer zu ertragen. Wir überlegen momentan auch, unsere Hochzeit nach hinten zu verschieben um wirklich sicher zu sein, dass meine Familie einreisen kann. Aber für diese Entscheidung haben wir ja zum Glück noch Zeit. 

Jetzt werde ich vielleicht die unerwartete Freizeit doch noch nutzen, um noch schnell ein paar Weihnachtsplätzchen zu backen!

Bleibt bitte alle gesund und fühlt euch herzlich umarmt <3

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